Zürich, Addis Abeba 27.05.2024 – Zum zehnten Todestag seines Gründer Karlheinz Böhm warnt das Hilfswerk Menschen für Menschen davor, Afrika zu vergessen. «Über der Berichterstattung über Krisen und Kriege in Europa und Nahost verlieren wir aus dem Blick, wie gravierend die Armut in Teilen Afrikas ist», sagt Co-Geschäftsführer Michael Kesselring. Böhms Konzept der «Hilfe zur Selbstentwicklung» setzt die Stiftung jetzt in einem neuen Projektgebiet um: In dem südäthiopischen Distrikt Hambela Wamena trinken 90 Prozent der Menschen kontaminiertes Wasser. Sieben von zehn Familien erleben mindestens fünf Monate im Jahr Nahrungsmangel.
Karlheinz Böhm: erst grosser Schauspieler, dann grosser Humanist. Sein Leben endete vor zehn Jahren am 29. Mai 2014 im Alter von 86 Jahren. Bis heute haben viele Zuschauer die Filmtrilogie «Sissi» ins Herz geschlossen, die Karlheinz Böhm als Kaiser Franz Joseph an der Seite von Romy Schneider berühmt machte. In der folgenden Theater- und Filmkarriere bewies sich Böhm als grosser Charakter-Schauspieler. Doch er «fühlte Wut über die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich». Sein Zorn führte im Mai 1981 zu einer Wette in der TV-Show «Wetten, dass..?» Er wettete, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer einen Franken für die Hungernden spenden würde. Die Hilfsbereitschaft war enorm. Karlheinz Böhm flog mit 1.2 Millionen Franken nach Äthiopien, um zu helfen. Dies war der Beginn von Menschen für Menschen (www.mfm.ch)und Böhms lebenslangem ehrenamtlichen Engagement für die ärmsten Familien. «Er fragte die Menschen: Was braucht ihr? Was seid ihr bereit, dafür zu tun?», erinnert Michael Kesselring. «Dann half Menschen für Menschen mit materieller Hilfe und mit Schulungen. Damit sich die Menschen selbst aus ihrer Armut herausarbeiten können.»
In Dörfern und städtischen Slums
Diese «Hilfe zur Selbstentwicklung» ist seither Grundlage aller Projekte – die zunächst vor allem in abgelegenen ländlichen Gebieten Äthiopiens angesiedelt waren. Seit rund zehn Jahren hat Menschen für Menschen seine Hilfe auf städtische Armenviertel ausgeweitet. «Der durch die Industrienationen verursachte Klimawandel bringt Trockenheit, sie verstärkt den Trend zur Landflucht, der durch Überbevölkerung und eine nicht angepasste Landwirtschaft entsteht», sagt Kesselring. «Die Menschen aus den Dörfern landen als perspektivlose Tagelöhner in den wachsenden Slums der Städte.» Arme Familien brauchten deshalb dringend Wissen und Ausbildung, um in ihren Dörfern und in den Slums der Städte gleichermassen ein menschenwürdiges Auskommen zu finden.
Beispielsweise erhielten im vergangenen Jahr in den Slums der Grossstadt Debre Berhan 878 Kinder Schuluniformen. 967 Kinder bekamen Hefte, Stifte und andere Schulmaterialien. In der Folge brechen sie den Unterricht nicht mehr aufgrund von Armut ab. 563 Eltern, vor allem Mütter, sind in 30 Selbsthilfegruppen organisiert, wo sie Mikrokredite nehmen können, um in kleine Gewerbe zu investieren.
Im ländlichen Bezirk Fogera haben die Menschen die Wälder aus Not abgeholzt, dies führte zu Bodenerosion und damit zu kleinen Ernten. Auch der globale Klimawandel macht den Bauern zu schaffen: Die Niederschläge fallen erratisch. Deshalb leiden viele Familien unter Nahrungsmangel. Die natürlichen Ressourcen müssen wiederhergestellt und die Landwirtschaft leistungsfähiger werden, um die Bevölkerung zu ernähren. 1070 Familien beispielsweise pflanzten verbessertes Saatgut auf Basis von Mikrokrediten. In der projekteigenen Pflanzschule wurden 388´474 Bäume gezogen, damit wurde eine Fläche von insgesamt 74 Hektar bepflanzt.
Projektgebiet ohne Infrastruktur
Anfang des Jahres hat die Stiftung ein neues Projektgebiet begonnen: Hambela Wamena ist mit 871 Quadratkilometern ungefähr so gross wie der Kanton Schwyz, hat aber 50´000 Einwohner mehr: In dem äthiopischen Bezirk leben die rund 214´000 Menschen fast ohne Infrastruktur. Die Landwirtschaft auf winzigen Flächen kann die Bevölkerung nicht ernähren. Die meisten Familien müssen viele Monate im Jahr ihre Ernährung einschränken, nehmen nur eine Mahlzeit am Tag ein. Menschen für Menschen entwickelt den Bezirk nun mit einheimischen Beraterinnen und Beratern, die dauerhaft unter der Landbevölkerung leben. Binnen drei Jahren soll so das Dasein von 3600 Tagelöhner- und Kleinbauern-Familien mit insgesamt 25'000 Mitglieder verbessert werden.
Begleitend zu den landwirtschaftlichen Schulungen klären die Beraterinnen und Berater über Familienplanung auf. An 13 Schulen entstehen Schülerclubs, die über reproduktive Gesundheit informieren – damit die Frauen wissen, welche Verhütungsmittel sie in den staatlichen Gesundheitsstationen verlangen können und nur die Zahl der Kinder bekommen, die sie tatsächlich wollen.
Afrika als Wirtschaftspartner
Über den Krisen und Kriegen in Europa und Nahost, auf deren Opfer sich die Schweizer Spender im Jahr 2023 konzentrierten, hätte es die Armutsbekämpfung in Afrika schwer, sagt Michael Kesselring: «Man kann das Leid nicht gegeneinander aufwiegen, aber wir dürfen Afrika nicht aus unserem Blickfeld verlieren». Wem die humanitären Gründe nicht genug seien, der sei an die Argumente von Karlheinz Böhm erinnert. In einem seiner letzten Interviews sagte der Gründer von Menschen für Menschen: «Fast ein halbes Jahrtausend hat man mit dem Kolonialismus die Menschen und jede Art von Entwicklung unterdrückt. Wir müssen Afrika auch dahingehend unterstützen, dass sich der Kontinent als Wirtschaftspartner entwickeln kann. Wenn wir das vergessen, werden wir eine bittere Rechnung bezahlen. Dass Afrika auch ein Absatzmarkt sein könnte, scheint ausser den Chinesen bis jetzt niemand verstanden zu haben.»
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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