Die Welt wird besser. Heute leben viel weniger Menschen in extremer Armut als früher. Trotzdem gibt es Menschen, denen es an allem fehlt, sogar an Kleidung und Essen. Wie ist das möglich in einer Zeit des Überflusses? Warum gibt es immer noch Hunger und extreme Armut? Ein Besuch bei einer Familie in Äthiopien zeigt: Die Gründe für Armut sind manchmal überraschend. Aber es ist leicht, zu helfen.
In den Kronen der Urwaldriesen lärmen Vögel. Ein gewundener Pfad führt auf eine Lichtung mit einer grasgedeckten Rundhütte: Ein afrikanisches Idyll. Aber nur, bis man in die Hütte eintritt. In der Dunkelheit: Vater, Mutter und vier Kinder. Sie sitzen auf dem Lehmboden. Nie hat man so stumme Kinder gesehen. Nur die Augen sprechen. Ihr Blick ist so ernst wie der ihrer Eltern: In dieser Familie gibt es kein Lachen und kein Lächeln.
Niemand trägt Schuhe, die Kleider sind Lumpen, deren Farben nur noch zu erahnen sind. Alles nimmt hier die Tönung der rötlichen Erde an, mit der auch die Hütte gebaut ist. Die Haare der Kinder wirken stumpf, ihre Haut trocken und schuppig. «Wir haben nicht einmal Geld für Seife», sagt Abebe Geme, der Vater. Ein Stück Seife kostet umgerechnet vier Rappen. «Schauen Sie, wie schmutzig meine Kleidung ist. Wir waschen jede Woche, aber nur mit Wasser wird sie einfach nicht sauber.»
Die Kinder gehen nicht zur Schule: «Wenn ich nicht einmal Geld für Seife habe, wie sollte ich da Hefte, Stifte und Schuluniformen bezahlen können?» – «Warum sind Sie denn so arm, Herr Abebe?» – «Wir hatten viele Todesfälle in der Familie. Innerhalb von fünf Jahren starben meine Eltern und zwei meiner Brüder. Wir waren immer sehr arm, aber die Beerdigungen brachten uns in tiefe Not.» Abebe tritt vor die Hütte, geht zehn Schritte, zeigt auf den Boden und sagt: „Hier liegt mein Vater.“ Er geht einen Schritt weiter: «Hier liegt meine Mutter.» Noch einen Schritt: «Hier liegt mein Bruder. Und dort meine Schwester.» Als Fremder erkennt man nicht, dass auf der Lichtung Gräber liegen. Die Familie ist protestantischen Glaubens und es ist üblich, einfache Holzkreuze schreinern zu lassen, aber auch dafür hat Abebe kein Geld.
Vor fünf Jahren wachte die Mutter auf ihrem Grasmatten-Lager nicht mehr auf: «Am Abend ging es ihr gut und am Morgen war sie tot.» Der Vater starb im Jahr darauf im Hospital der 60 Kilometer entfernten Stadt Yirgalem an Nierenversagen: «Wir mussten ein Stück Land verkaufen, um den Transport des Sarges nach Hause zu bezahlen.» Einige Zeit später klagte der Bruder über Schmerzen im Bauch: «Im Hospital sagten sie, wir sollten ihn wieder nach Hause nehmen. Drei Tage später starb er.» Die Schwester hatte ein Krebsgeschwür im Gesicht: «Der Heiler im Dorf konnte nichts machen.» Und jedes Mal musste Abebe eine Trauerfeier ausrichten, so wie es der Brauch verlangt. Obwohl die weitere Verwandtschaft immer ein dürres Rind zum Schlachten spendete, musste Abebe jeweils ein Stückchen Land verkaufen, um genug Weizen für den Leichenschmaus kaufen zu können. „Die Nachbarn kommen und die Ältesten“, erklärt Abebe. „Ich bin gezwungen, sie zu bewirten!“ Kein Essen anzubieten, das wäre ein unvorstellbarer Verstoss gegen Sitte und Anstand: „Die Beerdigungen haben mich ins Elend gestürzt.“
Familien, die etwas besser gestellt sind, organisieren sich in sogenannten Edir-Gruppen, einer informellen Versicherung: Jede Familie zahlt regelmässig in eine gemeinsame Kasse ein und in einem Trauerfall wird die Feier daraus bestritten. Doch die ärmsten Familien haben kein Geld für die Beiträge. So wird ein sozialer Brauch für die unterste Gesellschaftsschicht zu einer schädlichen Tradition, die ihre extreme Armut weiter verschärft. Denn extrem arm war Abebe schon vor den Todesfällen. Lediglich 0,3 Hektar Land hatte die Familie ursprünglich. Das ist weniger als die Hälfte eines Fussballplatzes. Von dem Mais, der auf so einer kleinen Fläche wächst, kann niemand menschenwürdig leben.
Die Eltern lassen regelmässig Mahlzeiten ausfallen. Die Kinder bekommen jeden Tag Kotscho, eine Art Brot, hergestellt aus fermentierter Stärke, die aus der Ensete gewonnen wird, eine Pflanze, die aussieht wie eine Bananenstaude. Doch satt essen können sich die Geschwister nie: Maru ist mit zehn Jahren der Erstgeborene. Amaretsch, die älteste Tochter, ist sieben. Chanaka, ein weiterer Junge, ist fünf. Und Robdu, das Nesthäkchen wurde gezeugt, als das Langzeit-Verhütungsstäbchen, das sich Mutter Meseret in der Gesundheitsstation unter die Haut am Oberarm hatte implantieren lassen, seine Wirkung verlor. «Wenn die Kinder vor Hunger weinen, weine ich mit ihnen», sagt Meseret. Der Blick der Mutter verrät ihren Schmerz. Vater Abebe verdient einen Franken an den Tagen, an denen er einen Job als Hilfsarbeiter beim Bau von Lehmhäusern bekommt. «Ich schaffe es nicht, für mich und für meine Kinder zu sorgen. Dieser Gedanke macht mich fertig», sagt Abebe. «Ich kann deshalb manchmal nicht mehr klar denken. Ich schäme mich.»
Die Familie steht im Schatten einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte: Die Welt wurde und wird immer besser in Zeiten der Industrialisierung und Globalisierung: Nie haben so wenige Menschen in extremer Armut gelebt. Die Weltbank setzt diese Grenze bei einem Einkommen von 1,90 Dollar pro Tag fest. Demnach waren im Jahr 1990 noch 37 Prozent aller Menschen extrem arm. Inzwischen sind es nur noch acht Prozent.
Doch immer noch sind es 580 Millionen Menschen, denen es am Grundlegendsten mangelt. Die Allerärmsten der Welt erreicht kein »Trickle-Down-Effekt»: Meseret und Abebe profitieren nicht vom Wachstum der globalen Ökonomie. Sie waren nie in einer Schule, und überhaupt: In ihrem Dorf gibt es keine Unternehmen, die Jobs anzubieten hätten. Ohne Hilfe von aussen haben sie keine Chance – und damit auch nicht ihre Kinder.
Menschen für Menschen sieht es als seine hauptsächliche Aufgabe, den Familien im Schatten des weltweiten Fortschritts Lebensperspektiven zu bringen: Sozialarbeiter und Landwirtschaftsexperten analysieren die Situation jeder einzelnen Familie, um bedarfsgerecht helfen zu können. Wer Land hat, bekommt verbessertes Saatgut und Schulungen in Zwischenfruchtbau und anderen Methoden, um die Ernten zu steigern. Nachdem Abebe sein Land verkaufen musste, ist das für seine Familie keine Option. Ideal für landlose Tagelöhner ist das Mast-Programm: Mit Hilfe eines Kleinkredits können die Familien zwei junge Ochsen kaufen. Sie werden mit Blättern der Ensete und mit überall frei vefügbarem Elefantengras gemästet. Nach drei bis vier Monaten kann das Mastvieh verkauft werden. Mit dem Gewinn stottern die Familien den Kredit ab und kaufen neues Vieh. Mit einem kleinen Teil des Erlöses kaufen sie Lebensmittel und andere Waren: in vielen Familien ist so erstmals Geld für Schulbedarf im Haus, so dass die Kinder endlich ihren Bildungsweg aufnehmen können. Nachdem die Sozialarbeiter mit Abebe gesprochen haben, wird die Familie nun in das Programm aufgenommen. «Unser Leben wird sich grundlegend bessern», sagt Abebe.
Gegen 18 Uhr wird es dunkel. Kerzen und Lampenöl kosten zu viel Geld, die Familie geht früh schlafen. Kinder und Eltern liegen auf dem Boden, sie verbringen die Nacht eng aneinandergeschmiegt, um nicht zu frieren. Als Zudecken gibt es nur alte Getreidesäcke aus Kunststoff. Die langen Stunden der Dunkelheit sind für die Eltern nun leichter zu ertragen. Denn zur Sorge ist ein neues Gefühl gekommen: Hoffnung.
WARUM WIR HELFEN
In den Bezirken Gelana und Abaya ist die Landwirtschaft rückständig und die Familien sind gross. Viele haben die Hälfte des Jahres nicht genug zu essen.
AKTIVITÄTEN
- Förderung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung
- Vergabe von Mikrokrediten und Berufsbildung für Jugendliche
- Bildung und Förderung von Spargruppen und Bauerngenossenschaften
- Aufklärung im Bereich Familienplanung und Verteilung von Verhütungsmitteln
WAS WIR ERREICHEN
- 3400 Familien erhielten auf Kreditbasis verbessertes Saatgut und konnten ihre Ernährung sichern
- 1800 Familien wurden mit Hilfe von Mikrokrediten zu Viehzüchtern
- 1451 Frauen organisierten sich in Spar- und Selbsthilfegruppen, um mit Mikrokrediten ein Kleingewerbe zu beginnen
Es ist leicht zu helfen: Unsere Hilfe wirkt
«Vor vier Jahren mussten wir unseren drei Kindern sagen, dass sie nicht mehr zur Schule gehen könnten. Sie weinten und waren verzweifelt. Aber es war einfach kein Geld für Schulmaterial im Haus. Durch den Verkauf der Ochsen haben wir nun ein Einkommen und unsere Kinder haben die Schule nach zwei Jahren zu Hause wieder aufnehmen können: Das ist das Allerwichtigste!»
«Wir haben genug Land. Aber früher hatten wir kein Geld, um Saatgut zu kaufen. Und die Erträge der lokalen Sorten waren gering. Auch die Kinder assen nur zweimal am Tag. Dank Menschen für Menschen bekommen sie jetzt, so viel sie wollen. Und mit dem Profit aus dem Maisverkauf habe ich bereits vier Schafe gekauft. Wir haben allen Grund, froh und zuversichtlich zu sein!»
Mit 80 CHF erhält eine Familie einen Mikrokredit mit dem sie sich verbessertes Saatgut kaufen können und niemand Hunger leiden muss.