Die Arbeit an der Graswurzel beginnt
Die Arbeiten im neuen Projektgebiet Raphe haben mit einem Eröffnungsworkshop offiziell begonnen. In den Dörfern läuft die «Hilfe zur Selbstentwicklung» an. Derzeit identifizieren unsere Fachleute die bedürftigsten Familien und ihre Potenziale in dem Landbezirk im Süden Äthiopiens und beginnen ihre Schulungen.
Raphe ist etwa so gross wie der Kanton Appenzell Innerrhoden, hat aber sechsmal so viele Einwohner. 98’000 Menschen leben hier ohne sichere Existenzgrundlage. Nur wenige Haushalte haben Zugang zu sauberem Wasser. Besonders Kinder werden krank. Die Familien besitzen nur winzige Äcker, die Ernten reichen nicht aus – neun von zehn Familien leiden viele Monate im Jahr an Nahrungsmangel: Eine umfangreiche Basisstudie dokumentierte die übergrosse Armut in dem Bezirk.

Auf der Grundlage dieser Daten beginnen wir unser neues dreijähriges Projekt, um 3600 Tagelöhner- und Kleinbauern-Familien aus sieben Gemeinden ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat zu ermöglichen.
Menschen für Menschen führt das Projekt mit der äthiopischen NGO Ethio Wetlands and Natural Resources Association (EWNRA) durch, einer langjährigen Partnerorganisation. Deren Leiter Afework Hailu erinnerte beim Eröffnungsworkshop in der nahegelegenen Stadt Dilla an das erfolgreiche Projekt, das wir in den vergangenen neun Jahren in den Bezirken Abaya und Gelana gemeinsam umsetzten – und an einen wesentlichen Erfolgsfaktor, nämlich die Selbstverpflichtung der Kleinbauern wie der lokalen Behörden.
Projektkoordinator Dr. Martin Grunder berichtete, dass die Mittel für das Projekt nicht von staatlichen Gebern stammten, sondern von engagierten Privatspendern, die bereit sind, ihr hart erarbeitetes Geld für den guten Zweck zu stiften. Getachew Zewdu, Landesdirektor von Menschen für Menschen, erläuterte den Ansatz der Organisation: Menschen für Menschen setzt darauf, die Familien in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Einkommensquellen zu schaffen. Das Ziel sei es, ihnen langfristig Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, um eigenständig für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Getachew Zewdu sicherte zu, den Fortschritt der zahlreichen Projektkomponenten gemeinsam mit dem EWNRA-Team eng zu begleiten und zu überwachen.

Ato Yohannes als Leiter der Distriktverwaltung würdigte «das Engagement, ein so umfassendes Projekt in einem abgelegenen und oft vergessenen Distrikt zu realisieren». Er forderte die Verwaltung sowie alle Beteiligten auf, ihr Bestes für den Projekterfolg zu geben.
Shibeshi Beyene, der Projektkoordinator von EWNRA, stellte die verschiedenen Massnahmen vor. Sie gründen auf den Erfahrungen in den Bezirken Abaya und Gelana. Aktuell suchen unsere einheimischen Entwicklungsexperten die Familien aus. Kriterien sind neben ihrer besonderen Armut auch ein erkennbares Entwicklungspotential. Beispielsweise erhalten im ersten Jahr 100 motivierte Kleinbauern mit Landbesitz besonders leistungsfähige Mais-Saaten auf Mikrokreditbasis. 40 innovationsfreudige Bauern werden mit dem Anbau von Kartoffeln vertraut gemacht, die im Bezirk noch nicht verbreitet sind. Zwölf Familien, die Vorkenntnisse in der Bienenhaltung haben, können mit Schulungen und modernen Bienenstöcken mehr Honig produzieren.
Die intensive Nutzung der Böden hat in Raphe zu Erosion und sinkenden Erträgen geführt. Deshalb richten wir in diesem ersten Projektjahr eine Pflanzschule ein. Insgesamt ziehen wir 90'000 Baumsetzlinge und geben sie an die Bauern. Die Wurzeln der Bäume, an Rainen und Hängen gepflanzt, stabilisieren den Boden.

Das Projekt repariert Brunnen, baut 15 neue Quellfassungen und schult Wasserkomitees. So erhalten 4500 Menschen dauerhaft Zugang zu Trinkwasser. Bereits im ersten Jahr sollen fünf dieser gemeinschaftlichen Wasserstellen errichtet werden.
In Raphe haben die Menschen keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen. Die Menschen sollen sich in Spar- und Kreditkooperativen (SACCOs) organisieren. Das Angebot richtet sich besonders an Frauen, um ihr wirtschaftliches Potenzial zu wecken. In sieben Gemeinden werden sich in diesem Jahr je 100 Frauen in diesen Gruppen organisieren.

Eine hohe Geburtenrate verschärft die Armutsspirale. Frauen haben oft keine Möglichkeit, selbst über die Anzahl ihrer Kinder zu entscheiden. Das Projekt informiert über Familienplanung und stellt Verhütungsmittel bereit. Bereits im ersten Jahr sollen 280 Frauen und Männer an Aufklärungsveranstaltungen teilnehmen. Vor allem bilden wir in jeder Gemeinde zwölf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus, die ihr Wissen über Familienplanung in ihren Gemeinden verbreiten.