Am Sonntag, 13. Mai, ist Muttertag. In den Slums von Äthiopien kennt man den Tag kaum. Dabei hätten dort die Mütter eine Ehrung besonders verdient: In tiefstem Elend ziehen sie ihre Kinder unter besonderen Opfern gross. Dabei sind sie ganz auf sich allein gestellt.
Einen Ehrentag für die Mütter in der Schweiz einzuführen: Dafür warb die „Neue Zürcher Zeitung“ vor 88 Jahren. Es gehe darum, „alle Menschen zur Besinnlichkeit zu bringen, dass sie in ihrer Mutter einen unbeschreiblichen Glückswert besitzen“, fand die NZZ am 13. April 1930: „Sie allein ist doch die Frau, die vor keinem Opfer zurückschreckt, wenn sie damit dem Kinde den Weg zum Glück ebnen kann.“
Dies ist eine Wahrheit, die auch heute noch an allen Orten gilt, auch in den niederdrückendsten Slums: In der Stadt Debre Berhan in Äthiopien kümmert sich die Stiftung Menschen für Menschen um die 1000 ärmsten Kinder – die meisten von ihnen leben in Hütten ohne Väter. Die Mütter sind allein, weil die Männer den Alltag in Mangel und Not nicht ertragen. Manche betäuben sich mit Arake, dem lokalen Fusel aus Mais und Hirse. Viele sind vor der Ohnmacht, ihrer Familie kein würdiges Dasein bieten zu können, in andere Städte Äthiopiens geflohen und für ihre Frauen verschollen.
Auch Membere Tekle kann nicht auf ihren Mann zählen. Er sei psychisch krank, eine Folge seiner Erlebnisse als junger Soldat im äthiopisch-eritreischen Krieg, sagt sie. Immer wieder verschwinde er wochenlang, kehre nur sporadisch und kurzfristig zurück. Ihre vier Kinder zieht die 31-Jährige deshalb alleine auf. Viele Jahre hat die Familie in einer kotigen Gasse in einem Slum im Stadtzentrum gewohnt. Ihre Wohnung in all diesen Jahren: eine fensterlose Höhle aus Ästen, rostigen Blechen und Plastikplanen. Der Eingang ist brusthoch, gebückt geht man vorbei an einer Feuerstelle. Einen Kamin gibt es nicht, als Abzug dient ein Loch im Dach, durch das der Regen hereinfällt. Die ganze Familie wohnt in einer muffigen und völlig finsteren Kammer, sechs Quadratmeter klein. Erleuchtet wird sie nur von einer Taschenlampe – sofern die Mutter Geld für Batterien hat. Es gibt keine Möbel, nur eine alte Matratze auf dem Boden. Die wenige Kleidung hängt über einer zwischen den Wänden gespannten Schnur. Ein Wasseranschluss fehlt. Die Gasse ist die Toilette: Das war Membere Tekles Situation, wie sie die Mitarbeiter von Menschen für Menschen bei ihrem ersten Hausbesuch vorfanden. Und dies ist nur ein Beispiel von Hunderten Müttern mit Kindern, für die das Schweizer Hilfswerk in der äthiopischen Stadt Lebensperspektiven schafft.
„Dass so ein unglaubliches Elend auf dieser Welt noch möglich ist, kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat“, sagt Geschäftsführerin Josefine Kamm bei einem Monitoring-Besuch in Debre Berhan. „In Äthiopien gibt es kein soziales Auffangnetz. Für Kinder, die in ein derart menschenunwürdiges Dasein hinein geboren werden, sind die Lebenschancen ohne Hilfe gleich null.“ Menschen für Menschen nahm Membere Tekles deshalb in ihr Kinderprogramm auf. Das Schweizer Hilfswerk versorgt die Familie mit dem Notwendigsten für ein menschenwürdiges Leben. Die Kinder erhalten Lebensmittel, Schuluniformen und -bedarf. Anfang Mai ist die Familie umgezogen: Menschen für Menschen errichtet in der Stadt einfache Hütten mit Lehmwänden und Blechdächern. Jeweils zwölf alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern finden dort gesunde Wohnungen mit lokal produzierten Möbeln und Gemeinschaftstoiletten vor. Viele Mütter weinen vor Glück, wenn sie einziehen.
Damit die Mütter nicht mehr für Hungerlöhne als Wäscherinnen oder Haushaltshilfen ausgenutzt werden und sie langfristig auf eigene Beine kommen, organisiert das Schweizer Hilfswerk sie in Genossenschaften. Dort bekommen sie Schulungen in den Grundlagen des Wirtschaftens und Mikrokredite, um ein eigenes Kleingewerbe zu starten. Membere Tekle begann Jungschafe zu kaufen und mit Marktabfällen zu mästen. Einige Schafe hat sie bereits mit gutem Gewinn verkauft.
„So bald wie möglich möchte ich eine Kuh kaufen, denn die Milch ist in Debre Berhan knapp“, berichtet Membere Tekle der MfM-Geschäftsführerin bei einem Treffen ihrer Genossenschaft, in der sich 105 arme Mütter zusammengeschlossen haben. Andere Frauen erzählen lächelnd von ihren neuen Erfolgen als Betreiberinnen von Kiosken, Teestuben, als Bäckerinnen und Gemüsehändlerinnen. „Eine der grössten Herausforderung für Europa in diesem Jahrhundert wird Afrika sein“, sagt Josefine Kamm. „Wenn wir weitere Armutsflüchtlinge verhindern und die Wirtschaft fördern wollen, müssen wir Afrika als ernsthaften Partner sehen und in die Entwicklung der Menschen investieren. Denn sie brauchen nur kleine Starthilfen, um sich selbst eine Zukunft aufzubauen. Die Mütter in dieser Genossenschaft zeigen, wie man bereits mit wenig viel erreichen kann.“
„Bevor ich die Hilfen bekam, war ich keinen einzigen Tag ohne Sorge“, sagt Membere Tekle. „Jetzt habe ich Hoffnung für die Zukunft meiner Kinder.“
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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