Zürich/Debre Berhan, 17.12.2020 – Menschen für Menschen leitet Kinder und Jugendliche zum Tagebuch führen an. Das Schreiben hilft ihnen, besser durch die Corona-Zeit zu kommen.
«Früher wachte ich morgens auf und freute mich auf den Tag. Jetzt habe ich Angst», schreibt Eremias in sein Tagebuch. «Dass ich das Virus nach Hause bringe und jemanden in der Familie anstecke. Wenn wir krank werden, müssen wir Medizin kaufen. Dann haben wir kein Geld mehr für alles andere. Nicht einmal für Essen.»
Der 15-Jährige lebt in einem Armenviertel der äthiopischen Stadt Debre Berhan. Dort kümmert sich Menschen für Menschen um eintausend Kinder aus den ärmsten Familien. Auch Eremias und seine drei jüngeren Brüder sind im Projekt. Das Ziel ist, über schulische Förderung der Kinder und berufliche Förderung der Eltern Lebensperspektiven aufzuzeigen. Die Familien sollen aus extremer Armut herausfinden und von Hilfe unabhängig werden. Doch seit dem Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 geht es auch um akute Krisenbewältigung.
Eremias und seine Brüder erhalten regelmässig Lebensmittelpakete, weil die Mutter in der Corona-Krise keine Gelegenheitsjobs als Haushaltshilfe mehr findet. Daneben konzentriert sich das Schweizer Hilfswerk auf die mentale Gesundheit. Die Schulen waren ein halbes Jahr geschlossen, die Kinder und Jugendlichen in engen Slumwohnungen auf sich allein gestellt. Digitaler Fernunterricht ist keine Option. In den Hütten gibt es keine Computer und keinen Internetanschluss.
Tagebücher als seelische Stütze
Die Sozialarbeiterinnen von Menschen für Menschen machen unter Beachtung von Abstands- und Hygieneregeln Hausbesuche, trösten Kinder und beraten Eltern. Unter anderem geben sie Tagebücher aus. Das Schreiben ist eine seelische Stütze in der Corona-Zeit. «Wenn man seine Sorgen auf Papier bringt, kann man sie leichter bewältigen», sagt Sozialarbeiterin Etalemahu: «Was man sich von der Seele schreibt, schmerzt weniger.»
«Einige der Kinder haben unseren Mitarbeiterinnen erlaubt, ausgewählte Seiten zu lesen und daraus zu zitieren», sagt Kelsang Kone, Geschäftsführer von Menschen für Menschen. «Manche Tagebücher sind damit auch für unsere Fachleute ein Spiegel der Belastungen, die gerade Kinder in dieser Zeit ertragen müssen.»
Durch die Corona-Krise verschärft sich die Bürde vieler Heranwachsender offenbar. Yerus ist die Tochter einer HIV-positiven Mutter. «Immer, wenn Mama etwas isst, muss sie sich erbrechen. Ich schaue in ihre Augen und habe Angst, sie zu verlieren. Ich bin trauriger, als ich je jemandem erklären kann. Lieber Gott, lass meine Mama gesund werden!», schreibt die 13-Jährige. Die Einsamkeit in der Pandemie macht dem Mädchen besonders zu schaffen: «Mama kann ich meine Sorgen nicht zumuten. Meine Freundinnen kann ich wegen Corona kaum sehen. Deshalb fühle ich mich manchmal verzweifelt. Zum Glück habe ich das Tagebuch. Darin schreibe ich über schöne und traurige Erlebnisse und male Bilder. Das erleichtert mich.» Ähnlich äussert sich Eremias: «Ich erinnere mich an die schlechten und an die guten Dinge. Ich denke beim Schreiben über alles nach, das ist für mich wie ein Anker.»
Aber die Kinder und Jugendlichen schreiben auch von ihrem Traum einer besseren Zukunft. Eremias wie Yerus sind Mitglieder in Schüler-Theatergruppen, beide freuen sich auf die Proben und Auftritte, wenn die Pandemie vorbei ist. «Ich möchte so gerne Schauspielerin werden! Oder Regisseurin oder Dichterin», schreibt Yerus. «Mit meinen Stücken würde ich gerne Menschen helfen. So wie die Gedichte, die ich ins Tagebuch schreibe, mir selbst helfen.» In einem Gedicht denkt sie über Angst nach. «Sei vorsichtig und umsichtig, aber nicht furchtsam», schreibt sie. «Denn Furcht führt dich nirgendwo hin.» An anderer Stelle formuliert das Mädchen ein Lebensmotto: «Ich habe erkannt, dass die grösste Freude darin besteht, anderen zu helfen. Ich möchte, dass viele Menschen Denkmäler für mich errichten. Aber nicht aus Stein, sondern in ihrem Herzen.»
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.