In Äthiopien infizieren sich Kinder beim Trinken mit Amöben und Würmern. Im Bezirk Hambela Wamena kämpft die Schweizer Stiftung Menschen für Menschen für das Recht auf sauberes Wasser.
Wenn an einem Sommertag der Durst plagt, kreisen die Gedanken nur noch um ein Glas mit einer Erfrischung. Zum Glück ist in der Schweiz reines Wasser eine Selbstverständlichkeit, nicht nur zum Trinken. Laut den Kantonalen Energie- und Umweltfachstellen verbraucht jeder Einwohner 140 Liter am Tag. Allein 36 Liter fliessen pro Person in die Duschwanne, 40 Liter durch die Toilettenspülung. Eine fünfköpfige Familie in der Schweiz verbraucht demnach 700 Liter Wasser pro Tag. Shuka Bekele, 28, ihr Mann und die drei kleinen Kinder begnügen sich mit einem Bruchteil davon: 2 Kanister à 20 Liter müssen reichen pro Tag, fürs Kochen, Waschen, Spülen, Trinken.
Horrende Kosten
Bislang war die Beschaffung das grösste Problem der Familie, die in dem Dorf Dimtu Hambala im südäthiopischen Bezirk Hambela Wamena zu Hause ist: Der nächste Brunnen lag eine halbe Stunde Fussmarsch entfernt. Der Weg dorthin führte über Felder, wenn sie frisch gepflügt oder eingesät waren, war dieser Weg verstellt. Die Familie hatte dann die Möglichkeit, ihr Wasser in der nahen Stadt Dimtu zu kaufen. Dann kostete der Inhalt zweier 20-Liter-Kanister und deren Transport mit einem Motorrad rund einen Franken – eine horrende Summe für die Familie. Zum Vergleich: In der Schweiz zahlt der Verbraucher für 1000 Liter rund zwei Franken. Im Distrikt Hambela Wamena erzielen die meisten Tagelöhner und Kleinbauern ein Einkommen von umgerechnet lediglich einem bis zwei Franken pro Tag, was den Preis für Trinkwasser schier unbezahlbar macht.
Deshalb musste Shuka Bekele ihre Familie oft aus einer unsicheren Quelle versorgen – so wie 88 Prozent der Einwohner in Hambela Wamena. Fünf Minuten von ihrem Haus entfernt, sprudelte das Wasser aus dem Hang, suchte sich in Rinnsalen seinen Weg. Dort, wo auch das Vieh trank, schöpfte Shuka Bekele ihre Kanister voll: «Wir hatten keine andere Wahl.» Die Kinder wurden immer wieder krank. «Sie hatten Würmer, auch Amöbenruhr», erzählt die Mutter. «Wir hatten hohe Kosten für die Medizin.»
Kostengünstige Versorgung
Seit ein paar Wochen ist dies Vergangenheit. Die Schweizer Stiftung Menschen für Menschen (www.mfm.ch) hat eine Quellfassung errichtet. Jetzt sprudelt das Wasser nicht mehr in Rinnsalen über den Hang, sondern sauber aus einem Metallrohr in die Kanister von Shuka und den Mitgliedern von 153 weiteren Familien.
«In der Schweiz weiss man, dass die ärmsten Familien in Afrika an Nahrungsmangel leiden», sagt Dr. Martin Grunder, Projektkoordinator bei Menschen für Menschen. «Dabei ist der fehlende Zugang zu sauberem Trinkwasser ein ähnlich signifikantes Problem für die Gesundheit und Entwicklung.» Kontaminiertes Wasser und daraus folgende Durchfallerkrankungen sind (nach Lungenentzündungen und anderen Atemwegsinfektionen) die zweithäufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren in Äthiopien. Pro Jahr sterben daran mehr als 25’000 Kinder.
Dabei sind die Lösungen des Problems nicht teuer. «Die Baukosten für eine Quellfassung sind angesichts der grossen Anzahl Personen, die sie nutzen können, mit rund 3000 Franken überschaubar», betont Grunder. «Menschen für Menschen baut Wasserstellen in Nachbarschaften und Dörfern, in denen mehr als 100 Familien davon profitieren. Das bedeutet, dass es nicht mehr als 30 Franken pro Familie kostet, langfristig und nachhaltig Zugang zu sauberem Trinkwasser zur Verfügung zu stellen.» In den kommenden drei Jahren baut Menschen für Menschen 16 Quellfassungen für mehr als 11´000 Menschen.
Das Hilfswerk engagiert sich seit Beginn des Jahres in dem Distrikt, der rund zweihunderttausend Einwohner hat und ungefähr so gross ist wie der Kanton Schwyz, nachdem eine von Menschen für Menschen in Auftrag gegebene Basisstudie 2023 die grosse Not erfasst hatte. Demnach haben nur zwölf Prozent der Einwohner Zugang zu sicherem Trinkwasser. Ausserdem leiden fast alle Einwohner an Nahrungsmangel, zumindest zeitweise im Jahreslauf. Da die Ernten klein sind und die Vorräte nicht ausreichen, verringern zwei Drittel der Familien die Menge der Nahrung und die Anzahl der Mahlzeiten zwischen Mai und Oktober. 93 Prozent der Familien nehmen generell nur zwei Mahlzeiten am Tag ein. Nur vier Prozent der Familien gaben in der Studie an, immer genug zu essen zu haben.
Armutsmigration vermeiden
Kleinbauern erhalten über Mikrokredite Vieh und verbessertes Saatgut. «Unsere Fachleute zeigen den Kleinbauern moderne und angepasste Bewirtschaftungsmethoden und wie sie ihre Ernten vergrössern und diversifizieren können, etwa mit proteinreichen Hülsenfrüchten», erklärt Projektkoordinator Grunder. «Saatgut und Dünger werden als eine Art Darlehen im Rahmen von Kooperativen vergeben. Nach der Ernte zahlen die Bauern die Kosten für die Inputs an die Kooperative zurück.»
Aufgrund der Überbevölkerung wird das Land bis auf den letzten Meter genutzt. Der Boden ist vielerorts erschöpft. Der Klimawandel verstärkt die negative Entwicklung mit erratischen Regenfällen: «Deshalb versorgen wir die Kleinbauern mit Baumsetzlingen und zeigen ihnen angepasste Methoden, die im Klimawandel bestehen, etwa Agroforstwirtschaft, wo unter Schattenbäumen Kaffeesträucher und Gemüse gedeihen.» In der Kombination der Massnahmen soll die Bevölkerung stabile Lebensverhältnisse in ihrer Heimat erreichen und Armutsmigration in die Slums der Städte vermieden werden.
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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