Zürich/Borena, 16. August 2022 – Auch Landwirtschaft und Wald in Europa leiden dieser Tage unter der Trockenheit. Aber noch muss hierzulande niemand seine Heimat aufgrund des Klimawandels verlassen. Das ist in Äthiopien anders: In Borena im Süden Äthiopien sind in der aktuellen Dürre, die schon seit zwei Jahren anhält, Tausende von Menschen zu Klimaflüchtlingen geworden. Nun bringen Lastwagen in einer Nothilfe-Aktion von Menschen für Menschen die herbeigesehnten Grundnahrungsmittel in ihre Camps.
Die 40-Tonnen-Lastwagen, schwer beladen mit Maismehl und Speiseöl, rumpeln über Staubpisten in Borena ganz im Süden Äthiopiens: Wo früher Gras und Büsche grünten und Ziegen und Rinder in grosser Zahl weideten, ist die Erde jetzt nackt: Die Landschaft erinnert an eine Wüste. Die Herden sind verschwunden: In der schwersten Dürre seit 40 Jahren ist das Vieh meist verhungert und verdurstet.
Am Rande von Landstädten und Dörfern sind Flüchtlingscamps entstanden, die Hirtenfamilien sammelten sich hier in der Hoffnung auf Gelegenheitsjobs oder Nothilfe. Auch am Rande der Kleinstadt Dubuluk stehen in der öden Landschaft die Behausungen der Hirten zu Hunderten, aus Zweigen, Lumpen und Plastikplanen zusammengebunden.
Die bunten Gewänder der Frauen sind die einzigen Farbtupfer in düsterer Lebenslage: Die meisten Familien sind schon fünf Monate hier im Bekata Camp. Viele Männer sind noch in den Weiten der Savanne unterwegs, auf der Suche nach Gras und Wasser für die letzten überlebenden Tiere. Die Menschen im Camp haben bislang überlebt, weil sie das Wenige, das sie noch hatten, über Familiengrenzen hinweg teilten, wie es die Tradition der Borena-Hirten will.
Hirtenfamilien fürchten um ihr Überleben
Viele Frauen sammelten dürre Äste, um sie an den Strassen zu verkaufen – Brennholz für die Kochfeuer ist überall in Äthiopien Mangelware. Andere suchten Einkommen als Tagelöhnerinnen, etwa als Wasserträgerinnen, aber durch die grosse Konkurrenz durch andere Klimaflüchtlinge sind die Jobs rar und die Tagelöhne sanken um die Hälfte von 100 Birr auf 50 Birr (90 Rappen).
Nun waren die Familien am Ende ihrer Kräfte, wie ein Besuch in den Hütten am ersten Tag der Nothilfe-Verteilung in der zweiten Augustwoche zeigte: Überall waren die Vorräte aufgebraucht. In einer der Behausungen trafen Mitarbeiter von Menschen für Menschen auf Tenu Boru, 25, mit ihren zwei Kindern und ihrer greisen Mutter. «Wir hatten 35 Rinder. Unser Leben war sehr gut. Wir hatten zu essen und unsere Kinder waren gesund. Jetzt sind alle Rinder tot. Es gab keinen Regen, also kein Gras», berichtete die Hirtin. «Jetzt fürchten wir um unser eigenes Leben.»
Tuheme, ihre zweijährige Tochter, stakste in eine Ecke der Hütte, holte dort einen Topf und trug ihn zu der Mutter. Tenu Boru nahm dem Kind den Topf aus der Hand. Der Topf war leer. Das Kind schaute darauf und begann zu weinen. «Sie ist hungrig, sie will etwas essen», sagte Tenu Boru. «Morgens trinken wir Tee. Nach Sonnenuntergang essen wir Maisbrei. Gekocht mit Wasser, ohne Butter oder Öl. Das ist alles. Wir bekommen nur eine Mahlzeit pro Tag.»
Zum Glück ist jetzt die erste Nothilfe von Menschen für Menschen eingetroffen. Die Schweizer Stiftung konnte Mais auf einer Grossfarm im Nordwesten Äthiopiens aufkaufen und bringt rund 200 Tonnen Grundnahrungsmittel ins Katastrophengebiet im Süden. Die Trucks brauchen vier Tage, um über die schlaglochübersäten Pisten rund 900 Kilometer weit zu den notleidenden Hirten zu gelangen.
Hoffnung auf Regen im September
Am ersten Verteilort im Bekata Camp warteten rund 300 Menschen, vor allem Frauen, dicht gedrängt unter Akazien. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und der Hirten-Gemeinschaft sind vorab Listen der Bedürftigen erstellt worden. Insgesamt bekommen 4539 Menschen 15 Kilogramm Maismehl und einen halben Liter Speiseöl pro Monat. Daneben werden Waschseifen und Zeltblachen verteilt. Die Empfänger quittieren den Erhalt mit einem Fingerabdruck. Bei der ersten Verteilung drückten gerade die älteren Empfängerinnen ihre Dankbarkeit überschwänglich aus.
Seit dem ersten Erkundungsbesuch von Menschen für Menschen im Juli sind die Camps für Klimaflüchtlinge weitergewachsen: Es kamen noch mehr Hirtenfamilien an. Bis Ende September plant die Schweizer Stiftung noch zwei weitere Verteilaktionen. Dann wird die Regenzeit erwartet. «Wenn sie tatsächlich kommt und nicht ausbleibt wie die jüngsten vier Regenzeiten der vergangenen zwei Jahre, sollte sich die Situation ganz langsam entspannen», sagt Kelsang Kone, Geschäftsführer von Menschen für Menschen. Zwar seien Trockenzeiten für die Hirten nichts Ungewöhnliches. «Aber derartige lange Dürren wie jetzt in Äthiopien zeigen, dass gerade die ärmsten Menschen am schwersten unter dem globalen Klimawandel leiden, den vor allem die reichen Länder verursachen.»
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.