Mehr Power für die Frauen
Zürich/Addis Abeba 12. Juni 2019 – Am 14. Juni gehen die Frauen in der Schweiz für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung auf die Strasse. In Afrika sind Frauen besonders weit von der Gleichberechtigung entfernt. Darauf weist Menschen für Menschen anlässlich des Frauenstreiktages hin. Die Schweizer Stiftung setzt sich im Sinne ihres Gründers Karlheinz Böhm in Äthiopien besonders für arme Mütter ein. In der Hauptstadt Addis Abeba sorgt eine neue Mitarbeiterin speziell für ihr «Empowerment»: Dank einer Berufsausbildung können sie künftig selbstbestimmt leben.
Etenesh Yigzaws Lebensweg ist in Äthiopien nicht ungewöhnlich. Sie wurde von ihren Eltern, armen Bauern, in die Hauptstadt Addis Abeba geschickt. Dort sollte sie als Hausmädchen arbeiten. Sie war erst elf Jahre alt. Ihr Lohn: Kost und Logis. Mit 17 wurde sie von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt – und ging danach eine Beziehung zu ihm ein. «Er versprach mir die Ehe», erklärt die junge Frau: Durch die Vergewaltigung in den Augen der patriarchalen Gesellschaft entehrt, sah sie keinen anderen Ausweg, als bei dem Vergewaltiger zu bleiben. Doch der Mann nutzte sie nur aus: «Als ich schwanger wurde, warf er mich aus dem Haus.» Mit 20 hat sie nun eine eineinhalb Jahre alte Tochter.
«Ohne Hilfe von aussen haben solche Frauen kaum eine Chance», sagt Sozialwissenschaftlerin Hareg Yohannes. «Manche alleinerziehende Mütter werden Sexarbeiterinnen. Fast alle sehen sich durch extreme Armut zu ihrer Arbeit gezwungen. Der Ehemann stirbt, sie haben keinen Job, manche müssen Kunden bei sich zuhause für einen Lohn von 100 Birr (CHF 3) bedienen, damit ihre Kinder überleben.» Die 31 Jahre alte Hareg Yohannes trat vor drei Monaten eine von Menschen für Menschen neu geschaffene Stelle in Äthiopien an. In Addis Abeba bildet die Schweizer Stiftung besonders arme Frauen zu Köchinnen und Hauswirtschafterinnen aus.
Hareg Yohannes ist nun erste Ansprechperson für Auszubildende und Absolventinnen. Sie vernetzt sie untereinander und mit potenziellen Arbeitgebern. Während der Ausbildung erhalten die Kurzsteilnehmerinnen neben dem praktischen Unterricht von der Fachfrau auch eine «Empowerment»-Schulung: «Darin geht es unter anderem um Familienplanung, um wirtschaftliche Grundkenntnisse und um psychologische Fragen: Was ist eine gesunde Beziehung? Wie kann man sein Selbstbewusstsein stärken?»
Das «Empowerment», also die Selbstbestimmung der Frauen zu fördern, sei eine zentrale Aufgabe des Ausbildungsprojekts – und von Menschen für Menschen generell: «Nur wenn wir die soziale Stellung der Frauen verbessern, wird Äthiopien dauerhaft die Armut überwinden können», sagte Karlheinz Böhm – für den Gründer war das ein zentrales Postulat für die Entwicklungsanstrengungen der Äthiopienhilfe.
Wie dringend notwendig dieses Ziel weiterhin ist, zeigen Statistiken. Harte körperliche Arbeit und viele Schwangerschaften zehren die Mütter aus, in äthiopischen Gesundheitseinrichtungen sind deshalb drei von vier Patienten weiblichen Geschlechts. Während 57 Prozent der Männer lesen und schreiben können, sind es bei den Frauen lediglich 41 Prozent. An den Universitäten des Landes liegt der Frauenanteil bei lediglich 30 Prozent – in der Schweiz dagegen bei 51 Prozent.
Weil die Ressourcen knapp sind in den Familien, sind es eher die Söhne, die ihren Bildungsweg fortführen können. Hinzu kommt eine traditionelle Einstellung bei vielen Männern. «Es kommt vor, dass Frauen mich um Hilfe bitten, weil ihre Männer wollen, dass sie zu Hause bleiben, statt die Ausbildung bei uns zu machen», berichtet Hareg Yohannes. «Dann gehe ich zu den Herren und spreche mit ihnen.» Ihr Hauptargument sei, dass eine Ausbildung der Frauen zum Nutzen der ganzen Familie ist: «Der Kursabschluss wirkt sich auf Generationen aus. Es macht einen riesigen Unterschied für ein Kind, ob es in einer Familie mit einer ausgebildeten und starken Mutter aufwächst oder nicht.»
Nach dem Abschluss sind die Schülerinnen nachweislich gefragte Fachkräfte. Hareg Yohannes befragte stichprobenartig Absolventinnen der vergangenen vier Jahre nach ihrer aktuellen Tätigkeit. «87 Prozent von ihnen arbeiteten in ihrem erlernten Beruf», sagt Hareg Yohannes. Ihr Einkommen sei häufig in vergleichbarer Höhe mit dem von Angestellten und Lehrern angesiedelt. 30 Prozent der Frauen arbeiten für öffentliche Arbeitgeber, ein Viertel in privaten Unternehmen, zum Beispiel in Kitas oder Kantinen. Ein weiteres Viertel arbeitet in Hotels und Restaurants. Fünf Prozent arbeiten als Haushälterinnen in wohlhabenden Privathaushalten. Elf Prozent der Frauen sind selbständig.
Das ist auch der Weg, den das ehemalige Hausmädchen Etenesh Yigzaw beschreiten will: Mit einem Mikrokredit von Menschen für Menschen will die Zwanzigjährige Brennholz und Zutaten kaufen, um das tägliche Fladenbrot namens Injerra zu backen und zu verkaufen – ein bewährtes Geschäftsmodell für arme Frauen in Addis Abeba: «Was zählt, ist meine kleine Tochter. Jetzt habe ich zum ersten Mal die Chance, dass ich ihr ein gutes Leben bieten kann.»
Über die Stiftung Menschen für Menschen
Menschen für Menschen setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 – 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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